Stellvertretend für die “Standard”-LMP1 habe ich hier den Porsche 919 hybrid genommen. Sicherlich sind Audi R18 e-tron quattro, Porsche 919 hybrid und Toyota TS040 Hybrid auch sehr unterschiedliche Autos, im Vergleich zum Nissan GT-R LM NISMO sind sie aber doch sehr ähnlich.
Kurze Erklärung: Die Regeln der FIA WEC
Das Reglement der FIA WEC für Prototypen der Kategorie LMP1 lässt, im Gegensatz zu anderen Rennserien wie der Formel 1 oder DTM, sehr viele Freiheiten. Die Motoren dürfen maximal einen Hubraum von 3,4 Litern (Sauger), 2,0 Litern (Turbo) bzw. 3,7 Litern (Turbodiesel) haben. Die Anzahl der Zylinder ist frei wählbar, ebenso die Ausführung des Hybrid-Systems (Kondensatoren, Akkus, Schwungräder, etc.).
Allerdings ist die Energiemenge, die vom Gesamtsystem während einer Runde um den Kurs von Le Mans genutzt werden darf, begrenzt. Es gibt mehrere Hybrid-Klassen (2, 4, 6 und 8 Megajoule) wobei die Leistung des Hybrid-Systems die Leistung des Verbrennungsmotors begrenzt. Außer Audi (6 MJ) treten alle Hersteller in der 8MJ-Klasse an.
Außerdem ist ein Mindestgewicht von 900 Kilogramm ebenso vorgeschrieben, wie die maximale Länge von 4650mm und die maximale Breite von 1900mm.
Front
An der Front der beiden LMP1-Wagen fallen beim Design sofort große Unterschiede auf, die den unterschiedlichen Antriebskonzepten geschuldet sind. Befindet sich der Motor bei Audi, Porsche und Toyota zwischen Fahrer und Hinterachse, so ist diese im Nissan direkt hinter der Vorderachse angebracht.
Beim Nissan wird an der Front viel Luft für die Kühler gesammelt, die vor der Vorderachse sitzen. Die erwärmte Luft tritt direkt vor der Vorderachse durch zwei Entlüftungsöffnungen wieder nach oben aus. Durch die schwarze Nase in der Mitte wird kühle Luft direkt zu den beiden Turboladern geleitet, die links und rechts vom Motor sitzen.
Im Kontrast dazu stehen die “normalen” LMP1, bei denen die meiste Luft über das Auto geleitet wird, während der Rest zur Kühlung zu den Bremsen und am Cockpit vorbei zu den seitlich angebrachten Kühlern geleitet wird. Außerdem wird die Ansaugluft über die Airbox in den Motor geleitet, die sich bei allen drei Mittelmotor-LMP1 auf dem Cockpit befindet.
Auffällig: Nissan scheint komplett auf die sogenannten Flaps (kleine Flügel an den vorderen Ecken des Autos) zu verzichten.
Update 07.02.2015
Woran ich noch garnicht gedacht hatte: Dadurch, dass die Abgase direkt vor dem Cockpit nach oben aus dem Auto geleitet werden, könnten die Piloten zumindest bei Rennen im dunkeln (und das kommt bei einer Langstrecken-Meisterschaft nun mal vor) von den Flammen geblendet werden. Gut zu sehen ist das in dem Video, dass Oliver Pla als Nissan-Werksfahrer vorstellt [0:17 min].
Seitenansicht
In der Seitenansicht wird der Unterschied dieser Konzepte zumindest äußerlich am deutlichsten: Während beim klassischen LMP1 das Cockpit und die Motorabdeckung einen von Vorder- zu Hinterachse spannen, beginnt das Cockpit beim Nissan GT-R LM NISMO erst kurz vor der Fahrzeugmitte und fällt ab bis an das hintere Ende des Fahrzeugs.
Da beim Nissan die heiße Luft von Kühlern und Motor bereits im Bereich der Vorderachse austritt, bzw. problemlos durch das Fahrzeug geleitet werden kann (siehe Punkt: Chassis/Fahrzeugkonzept), entfällt der LMP1-typische Luftauslass in der Fahrzeugmitte (beim Porsche links der Startnummer). Der hintere Überhang ist beim Nissan außerdem kürzer und der vordere etwas länger, begründet durch die Anordnung der Kühler.
Die Außenspiegel sitzen beim Nissan sogar noch etwas weiter vorne, als beim Porsche. Dies hat für die Nissan-Fahrer den Vorteil, dass die Spiegel eher im Sichtfeld liegen und diese den Blick nicht von der Strecke wenden müssen, um in die Spiegel zu schauen. Andererseits ist es fraglich, ob die Fahrer bei hohen Geschwindigkeiten in den kleinen Spiegeln überhaupt noch etwas erkennen.
Heck
Das klassische Heck eines LMP1-Sportwagens: Unten ein Diffusor, darüber ein Luftauslass vom Motor, die Heckpartie ist möglichst flach und nach hinten abfallend gehalten, hinter den Hinterrädern sind große Luftauslässe.
Um das Heck des Nissan GT-R LM NISMO scheint Nissan ein kleines Geheimnis zu machen. Auf allen offiziell veröffentlichten Bildern und Videos ist das Heck entweder garnicht zu sehen, oder so dunkel, dass man nichts erkennen kann. Glücklicherweise konnte Motorsport-Fotograf Marshall Pruett schon dieses detailreiche Foto von der Heckansicht und dieses Foto von der Heckabdeckung des Nissans machen. Hier wird deutlich, dass sehr große Mengen Luft um das Cockpit herum und durch das Auto geleitet werden, da sich hinter dem Auto ein Unterdruck befindet, der die Luft durch das Auto hindurch saugt.
Die Hinterradaufhänung (hier auf einem weiteren Foto zu sehen) ist so kompakt wie nur möglich konzipiert, um möglichst viel Platz für den Luftkanal zu lassen.
Betrachtet man außerdem das unverkleidete Heck des Nissan genauer, so fällt auf, dass die hinteren Bremsen für einen Sportwagen sehr klein dimensioniert sind. Allerdings liegen ja der Fahrzeugschwerpunkt, sowie der aerodynamische Schwerpunkt auf der Vorderachse, weswegen eine größere Bremse hier fehl am Platz wäre.
Update 15.02.2015
Auf dem italienischen Blog lemansprototypes.over-blog.it sind sehr detailreiche Zeichnungen der Aerodynamik veröffentlicht worden. Unbedingt anklicken!
Antriebs-System
Nissan beim Hybrid-System auf ein ähnliches Konzept, wie Audi. Beide verwenden Schwungräder, die die Bremsenergie speichern und beim Beschleunigen wieder abgeben, um das Auto mit Allradantrieb aus den Kurven zu ziehen. Allerdings kommen bei Nissan gleich zwei Schwungräder zum Einsatz. Diese bekommen ihre Energie, wie bei der Konkurrenz auch von den Vorderrädern, da sich beim Bremsen der Schwerpunkt des Autos nach vorne verschiebt und dort mehr mechanischer Grip vorhanden ist und somit stärker gebremst werden kann. Beim Nissan wird die Energie dann allerdings standardmäßig an die Hinterräder abgegeben, da die Vorderräder im Gegensatz zu den Gegnern ja bereits über eine Antriebsquelle verfügen. Falls benötigt, können diese allerdings auch noch von dem KERS angetrieben werden, dass sich unter den Füßen des Fahrers befindet.
Der 3.0 Liter große V6 Biturbo sorgt zusammen mit den Schwungradspeichern im GT-R LM NISMO auf eine Systemleistung von ca. 1250 PS. Anders als bei Porsche wird allerdings nicht noch die Energie des Abgasturboladers gespeichert.
Chassis/Fahrzeugkonzept
Sieht man die beiden unterschiedlichen Fahrzeugkonzepte mal ohne Karbonverkleidung, so werden selbst für Laien die Unterschiede deutlich.
Beim Nissan sitzt die Kühlung vor der Vorderachse, statt seitlich am Auto. Der Motor ist direkt hinter der Vorderachse angebracht, wo sonst der Fahrer Platz nimmt und das Cockpit ist dort, wo beim klassischen LMP1 der Motor als tragendes Element sitzt. Das Getriebe findet seinen Platz direkt auf der Vorderachse.
Nissan kann den Platz zwischen Motor und Fahrzeugheck – mal abgesehen vom Cockpit – komplett für aerodynamische Zwecke nutzen. Außer den Antriebswellen und den Hinterrädern stört nichts den Luftfluss nach hinten. Die Hinterräder (9 Zoll breit) fallen sogar wesentlich schmaler als die Vorderräder (13 Zoll breit) aus, was einerseits mit der Gewichtsverteilung (Schwerpunkt auf der Vorderachse) und andererseits mit der Platzersparnis für die Aerodynamik begründet sein dürfte.
Ein offensichtlicher Nachteil Kühleranordnung ist, dass diese bei kleineren Crashs oder Kontakt mit Trümmerteilen schneller beschädigt werden können, als die Kühler im konventionellen LMP1, die in der Fahrzeugmitte liegen.
Die Gewichtsverteilung soll ca. 61:39% betragen. Üblich sind bei Audi, Porsche und Toyota eher ganz leicht hecklästige Gewichtsverteilungen.
Fraglich ist weiterhin, ob sich Nissans Frontmotor-/Frontantriebs-Konzept lohnt. Die Gewichtsverteilung und der Schwerpunkt der Aerodynamik liegen normalerweise im selben Bereich. Beim Porsche ist das, wie bei Audi und Toyota auch, der Heckbereich, wo der schwere Motor, Getriebe, Tank und der große Heckflügel und Diffusor angebracht sind. Im Frontbereich ist bei weitem nicht so viel aerodynamischer Grip zu erzeugen.
Alle Informationen, Bilder und Videos zum Nissan GT-R LM NISMO gibt’s hier.
Update 08.02.2015
Mittlerweile sind neue Detailfotos vom Nissan GT-R LM NISMO aufgetaucht: Nissan GT-R LM NISMO – Neue Detailfotos