Porsche und Timo Bernhard haben es gewagt: Am 29. Juni schickte man den Deutschen im überarbeiteten Porsche 919 Evo auf die abgesperrte Nordschleife, um den 35 Jahre alten Rekord von Stefan Bellof mit einer Rundenzeit von 5:19.546 min um fast eine Minute zu unterbieten.
Doch genau da fangen die großen Diskussionen schon an. Für viele Fans ist die Runde von Stefan Bellof immer noch die einzig wahre, da diese am Rennwochenende und nicht auf der exklusiv gemieteten Strecke gefahren wurde. Zudem entsprach der Porsche 956C, den er damals bewegte, dem Reglement der Gruppe C, während der Porsche 919 Evo nur auf einem LMP1 basiert, aber keinem Reglement mehr unterliegt.
Genau wie Sebastian Bauer von passion:driving sehe ich die Sache aber eher so: Seid froh, dass sich endlich mal ein Hersteller getraut hat diese 35 Jahre alte Bestmarke anzugreifen. Rekorde sind schließlich da um gebrochen zu werden und das ist Timo Bernhard eindeutig gelungen. Bei seiner Rundenzeit sollten auch die Kritiker verstummen, die meinen, dass sich die Nordschleife seit 1983 ja stark verändert habe. Natürlich sind einige Ecken entschärft worden, aber glaubt ihr wirklich, dass das alleine 52 Sekunden ausmacht?
Außerdem sollte man bedenken: Der Rekord hätte bestimmt nicht so lange bestanden, wenn es überhaupt mal jemand ernsthaft versucht hätte. Wir leben in Zeiten, in denen Serienautos schon Rundenzeiten von unter 7 Minuten fahren können (Porsche 911 GT2 RS, 6:47,30 min). Da würde es mich wirklich wundern, wenn man mit einem ordentlichen Rennwagen diese Rundenzeiten nicht schon lange hätte schlagen können. Mit einem Formel 1- oder einem Le Mans Prototypen wäre eine Sub-6 sicherlich schon in den 80ern oder 90ern gefahren worden. Und soweit ich weiß, hat seit Bellofs Rekord kein Hersteller Auto und Fahrer genau auf diese Rundenzeit angesetzt – vielleicht auch, weil sich einfach niemand getraut hat.
Die Angst fährt mit
“Aufgrund des aerodynamischen Anpressdrucks gehen Passagen mit Vollgas, an denen ich mir das zuvor nie vorstellen konnte. Die Nordschleife ist mir ja wirklich vertraut. Aber heute habe ich sie neu kennengelernt. Für mich ist und bleibt Stefan Bellof ein Riese“, betont Bernhard. „Mein Respekt vor seiner Leistung mit der damaligen Technik ist heute noch einmal größer geworden.” – Timo Bernhard
Eins muss man Timo Bernhard nämlich fraglos anerkennen: Eine Runde wie diese zu fahren erfordert außergewöhnlich große Cojones. Beim Anblick dieser Onboard sollte jedem klar werden, dass eine solche Runde (im Schnitt 234,693 km/h, Topspeed 370 km/h) auch mit elektronischen Fahrhilfen jede Menge Mut und Talent erfordert. Eventuell wäre hier und da noch etwas mehr gegangen, aber das klare Ziel der Weissacher Mannschaft war selbstverständlich, dass Fahrer und Auto wieder wohlbehalten am Ende der Döttinger Höhe ankommen. Nicht auszudenken, was zum Beispiel bei einem Abflug mit 330 km/h in der Fuchsröhre passiert wäre.
Das nächste Argument vieler Kritiker des neuen Rekordes ist, dass dieser Stunt ja eine reine Marketingaktion sei. Wie Dale es schon schreibt, ist da auf jeden Fall etwas dran, aber von mir gibt es dafür eher Anerkennung, denn diese Story war bzw. ist tagelang das Thema Nummer 1 in der Motorsportwelt gewesen und selbst Formel 1-Teams und Piloten sind beeindruckt.
Die Formel 1. Da kommen wir gleich zur nächsten Diskussion. Mercedes Teamchef Toto Wolf und Michael Schmidt von auto motor und sport halten es offenbar für eine gute Idee mit der Formel 1 wieder auf die Nordschleife zu gehen. Während es Toto Wolf reizen würde mit einem seiner Piloten und einem entsprechenden Formel 1-Mercedes den Rekord nochmals zu knacken, träumt Schmidt schon von Rennen auf der Nordschleife.
Ich bin mir allerdings nicht so sicher, ob ich das so gut finden soll. Auch wenn beispielsweise der Stadtkurs in Baku ähnlich schnelle und enge Passagen bietet, ist die Nordschleife nochmal eine andere Hausnummer. Den neuen Rekord von Bernhard zu brechen dürfte schon wesentlich mehr Risiko erfordern, als die Marketingaktion wert wäre und bei einem Formel 1 Rennen auf der Nordschleife will ich nicht wissen, wie sehr unsere geliebte Nordschleife umgebaut werden müsste, bevor die ‘Königsklasse des Motorsports’ dort Rennen austragen würde. Neben dem finanziellen Aspekt müssten da auch erstmal jede Menge Genehmigungen eingeholt werden. Aber in Deutschland wird es ja 2019 eh schon wieder keinen Deutschland GP geben – es bestehen also noch ganz andere Probleme.
Einen letzten Gedanken zum Thema möchte ich euch noch mitteilen: Es könnte der letzte Rekord mit einem Auto mit Verbrennungsmotor sein. Elektroautos sind auf dem Vormarsch und am Pikes Peak scheint die Zeit der Verbrenner bereits vorbei zu sein, wie Romain Dumas im VW I.D. R Pikes Peak bewiesen hat.
Fest steht am Ende dieser Diskussionen jedenfalls eins: Die Namen Stefan Bellof und Timo Bernhard wird so schnell keiner vergessen. Denn einen 35 Jahre bestehenden Rekord aufzustellen und diesen zu brechen ist gleichermaßen beeindruckend.
Galerie: Timo Bernhard und der Porsche 919 Evo auf der Nordschleife
“Der Nordschleife würde man auch ein Rennen mit null Überholmanövern verzeihen.” – Michael Schmidt, auto-motor-und-sport.de
“But, cyncially, you could say it’s just fodder for the social media machine, and that it’s not the real stuff of legends.” – Dale Lomas, bridgetogantry.com